Morgenstund hat Gold im Mund - Was Stanley Kubricks Psychothriller „The Shining“ über Schreibhemmungen verrät

Das imposante Gebäude erhebt sich vor einem Berg der Rocky Mountains und liegt in völliger Abgeschiedenheit. Das ist genau das, wonach sich der Schriftsteller sehnt. Er will sich mit Zeit und in Ruhe seinem neuen Buch widmen können. Gesellschaft sollen ihm nur Ehefrau Wendy und Sohn Danny leisten. Der kleine Junge stört ihn sowieso nie, und Wendy hält ihm den Rücken frei. Liebevoll kümmert sie sich um alles, ohne zu murren. Um Verpflegung braucht sich ohnehin niemand zu sorgen, denn die Vorratskammern sind reich bestückt. Das klingt nach einem fantastischen Reich, das dazu einlädt, Ideen nachzuhängen und lustvoll zu fabulieren.

Trotzdem tritt Jack alsbald auf der Stelle. Er hat zwar Ideen, doch sie taugen allesamt nicht. Überhaupt drückt er sich vor der Arbeit, zögert sie hinaus, lieber verweilt er im Bett bis in die Mittagsstunden und lässt sich von seiner Frau mit einem üppigen Frühstück verwöhnen. Die Schreibmaschine hat er in der großzügigen Lounge auf einem langen Tisch aufgebaut. Zwar fließt durch die hohen Fenster ein schönes Licht, aber die Inspiration bleibt aus. Jack lenkt sich ab, vertreibt sich die Zeit. Sein Arbeitszimmer erfüllt nicht rhythmisches Tippen, kein Hebel wird schwunghaft zur Seite geschoben. Nein, ein dumpfes Knallen: Wütend donnert Jack einen Ball gegen die Wand. Er will sich partout nicht seine Schaffenskrise eingestehen. Erschlagen von seiner Aufgabe sitzt er verloren vor der Maschine, der hohe, pfeifende Soundtrack klingt tinnitusgleich. Der Schriftsteller kann nicht mehr schlafen, fühlt sich unendlich erschöpft, und treibt sich dennoch immer weiter an. Wenn er dann doch etwas zu Papier bringt, ist es der immergleiche Satz. Den jedoch setzt er variantenreich in seinem Manuskript, im einzeiligen oder im zweizeiligen Abstand, als eingerückten Dialog oder als Reimschema. Damit täuscht er vor, an einem langen, zusammenhängenden Text zu schreiben.

„The Shining“ kann man auf verschiedene Weise deuten, und wird auch immer wieder neu interpretiert. Doch nimmt man den Plot ernst, beschäftigt er sich vor allem einmal mit Schreibproblemen und dem Verlust der Schöpferkraft. Unbarmherzig verfolgt Regisseur Stanley Kubrick die einzelnen Stadien von Jacks Schreibkrise und beschreibt minutiös, wie sie sich auf dessen Familie auswirkt, sie geradezu irre macht. Kubrick erzählt vom vergeblichen Ringen seiner Figur, vom Zaudern und von Frustration. Das schürt nicht nur Ängste und Zwangsvorstellungen, sondern befeuert auch Wut, die immer mörderischere Züge annimmt, bis Jack kapituliert.

Woraus nährt sich nun die Schreibhemmung des Protagonisten? Zunächst einmal ist sie der besonderen Situation geschuldet, in die sich Jack versetzt hat. Im Film wird sie als „Cabin Fever“, als Lagerkoller (exakter: Lagerneurose), bezeichnet. Der Schriftsteller hat sich radikal von der Außenwelt, von den Menschen zurückgezogen, um sein Buch schreiben zu können. Im Hotel verschanzt er sich bald in seinem Arbeitszimmer, verschließt sich auch noch gegenüber seinen Liebsten. Wenn aber Nähe und sozialer Halt, alltägliche Aufgaben und geregelte Abläufe fehlen, wird man auf sich selbst zurückgeworfen, die eigene Geschichte rückt näher.

Jack spuken offenbar nicht nur schöne Erlebnisse im Kopf herum. Man erkennt es an seinem einen, endlos wiederholten Satz: „All work and no play makes Jack a dull boy.“ Als er ihn niederschreibt, unterlaufen ihm immer wieder verräterische Tippfehler. Sie verdeutlichen nur sein Leiden. Mal heißt es statt play, ply, mal wird a dull boy zu adult boy. Es scheint, als hätten ihm die Eltern als Kind niemals erlaubt, zu spielen und Spaß zu haben. Stattdessen drängten sie ihn dazu, vorschnell erwachsen zu werden und immer leisten zu müssen. Dadurch kommt er sich jetzt, wenig selbstbewusst, wie ein fader und langweiliger Mann vor. Ohne ein starkes Ich ausgebildet zu haben, nicht gewohnt, Pausen zu machen, geht er wie getrieben seiner Arbeit nach, brütet stundenlang vor der Schreibmaschine. Zudem plagen ihn auch noch unbewusste Erinnerungen. Ihre Spuren führen in den Raum 237. Hinter dieser Tür geschehen in der Tat mysteriöse Dinge. Schon anfangs wurde dem Sohn Danny durch den Küchenchef des Hotels das Betreten verboten.

Kubrick nutzt Metaphern und Symbole, wie das Haus, die Tür und das Labyrinth, die mit inneren Vorgängen, Geheimnissen, Erkenntnisprozessen, Verwirrung und der Suche nach einem Ausweg assoziiert werden. Sigmund Freud verglich die Psyche mit einem Haus und stellte fest, dass das Ich im eigenen nicht Herr sei. Mit diesem Sinnbild bringt Kubrick eine übertragene, psychologische Bedeutungsebene ins Spiel. Bunt und höchst lebendig zeichnet er nach, was auf der inneren Bühne seines Protagonisten vor sich geht. Die Gestalten des allegorischen Films verkörpern zugleich innere Anteile und führen das dramatische Geschehen anschaulich vor. Sohn Danny ist Jacks kindliche Stimme. Neugierig erforscht sie ihre Umgebung, besitzt den Willen zum Wissen und sucht nach einer Lösung für die Schreibhemmung. Sie will Jack von diesem einsamen Ort weglotsen, der aber schüchtert sie ein. Wendy hingegen ist Jacks Stimme, die für das eigene Wohlergehen sorgt, ihn aufmuntert, aber auch vorschnell anklagt und manchmal die Augen vor der Realität verschließt. Die Stimmen treten ständig in Zwiesprache miteinander, bekriegen sich jedoch schließlich immer heftiger. Andauernd überlagern sie sich, weshalb sich Kubrick ausgiebig des Mittels der Überblendung bedient.

Jack ist nicht Herr seines Geschicks. Sein arbeitsames, leistungsorientiertes Ich kann seine inneren widerstrebenden Anteile nicht integrieren. Grausam wütet es gegen die eigenen Bedürfnisse, zusätzlich geschwächt von dem Geheimnis, das sich hinter der Tür von Zimmer 237 verbirgt. Sohn Danny bringt die unverarbeitete Gewalttat ans Tageslicht. Er wagt sich als erster in den Raum hinein, als einmal die Tür offen steht.

Kubrick arbeitet mit grellen, bedrohlichen Bildern, die er aus der Freud’schen Theorie schöpft. So kleidet er Jacks Trauma in die Gestalt einer Verführungsszene. Kubrick markiert damit das Schreiben auch als ein sublimiertes, libidinös grundiertes Geschehen. Wie in Trance schreitet der Schriftsteller durch den Raum hindurch, sein Herzklopfen legt sich bedrohlich über die Szene. In einem popart-grünen Badezimmer entsteigt eine junge Frau dem Bade und nähert sich ihm. Als er sie umarmt und gierig küsst, verwandelt sie sich in eine hässliche Alte. Er flieht erschreckt und angewidert, ihr infernalisches Lachen und das Bild ihres verfallenden Körper verfolgen ihn. Diese Schreckensgestalt hatte seinen Sohn kurze Zeit vorher gewürgt.

Doch der Schriftsteller verleugnet, was ihm gerade widerfahren ist. Statt die Erinnerungsspuren eines eigenen traumatischen Erlebnisses zu enträtseln, sucht er seinen fürsorglichen und kindlichen Anteil auszulöschen, der die Erinnerung daran gespeichert hat. Hasserfüllt verfolgt Jack Frau und Sohn, womit er seiner eigenen kreativen Stimme nach dem Leben trachtet. Allerdings bleibt er dadurch in seinem inneren Irrgarten gefangen. Im übertragenen Bild erstarrt seine Persönlichkeit buchstäblich zu Eis. Sein Sohn und seine Frau hätten ihm den Ausweg aus seiner Schreibkrise gewiesen: Zunächst ein paar Schritte zurücktreten, um in die Lage zu kommen, sich in der Außenwelt Hilfe zu holen.