Die therapeutische Beziehung im Film – Brian Shoafs „Aardvark“ zeigt, wie sie eben nicht gestaltet werden sollte

Da man oft schon ahnt, wo die Ursachen des Problems beheimatet sind, fällt die Wahl der passenden Persönlichkeit häufig leicht, manchmal aus eben diesem Grund aber umso schwerer. Zur Entscheidung tragen selbstverständlich auch immer Vorstellungen und Bilder bei, die in unserer Gesellschaft über Therapie und Therapeuten zirkulieren. Seit frühester Zeit hat hieran das Kino mitgewirkt, es gab den verschiedensten Therapeutenfiguren Gestalt und machte besonders die psychoanalytische Methode bekannt; Woody Allen schlug daraus gar selbstironische Funken, natürlich mit Wiederholungszwang. Indem das Kino seine Erzählungen in das Korsett bestimmter Genres einband, schuf es allerdings auch Klischees, welche die Ideen von Aufklärung und Emanzipation schwächten.

Der Patient kuriert die Therapeutin

Eines der zählebigsten Stereotypen im amerikanischen Kino ist das Bild der grenzverletzenden Therapeutin. Glen O. Gabbard und Krin Gabbard haben es in ihrem Buch „Psychiatry and the Cinema“ (1999) ausführlich beschrieben: „Women are mediocre analysts until they fall in love. Then they become superb analysts, detectives, and, of course, helpmates.“ (149) Darum handelt es sich bei der Therapeutin meist um eine alleinstehende Frau. Falls sie verheiratet ist, ist es um ihre Ehe schlecht bestellt. Und die Behandlung verläuft typischerweise so: Die Therapeutin lässt sich einfühlsam auf ihren Patienten ein, der jedoch alsbald ihren emotionalen Mangel wahrnimmt, ihn anspricht. Sie verliebt sich in ihren Patienten. Aber das Ausleben der ‚Gegenübertragung’ zerstört nicht die therapeutische Beziehung. Im Gegenteil: Die Therapeutin heilt nicht nur den Patienten, sondern auch noch sich selbst. Sie erkennt, dass die wahre Bestimmung einer Frau in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau liegt. Damit ist die patriarchalische Geschlechterordnung restauriert.

Das Stereotyp überdauert bis heute

Dass sich der amerikanische Film immer noch an diesem Schema abarbeitet, zeigt die im August 2019 angelaufene Produktion „Aardvark“. An ihr kann man studieren, wie eine Therapie auf keinen Fall ablaufen sollte. Der Film führt eindrücklich vor Augen, was geschieht, wenn es dem Therapeuten oder der Therapeutin an der nötigen Distanz fehlt. Er oder sie können so nicht mehr adäquat auf die fehlgehenden, bewussten oder unbewussten Erwartungen des Klienten oder der Klientin antworten.

Die Therapeutin Emily Milburton ähnelt in vielem diesem abgenutzten Klischee. Nachdem der Film in einer Rückblende verdeutlicht hat, dass Emilys Patient Josh Norman – sein Aussehen und sein Name lassen an Norman Bates aus „Psycho“ denken – in seiner Kindheit eine traumatische Erfahrung mit seinem Bruder machte, springt er ohne Umschweife in seine erste Therapiesitzung hinein. Schon ist Emilys Stimme zu hören, während man zunächst vor ihrem Haus steht, das in einer Vorstadtsiedlung liegt. Danach blickt man im Innern der geschlossenen Veranda auf zwei leere Stühle – es handelt sich um den Warteraum. Emily erklärt dem neuem Patienten gerade ihr Setting, bittet ihn, ihre Privatsphäre zu respektieren, da sie bei sich zuhause arbeite. Jetzt sitzt sie vor uns, eine attraktive, junge Frau mit dunklem schulterlangen Haar, bekleidet im klassisch-konservativen Outfit mit weißer Bluse und Rock, einen Stift in der Hand. Schon anfangs wird klar, dass es in „Aardvark“ um das Problem geht, Grenzen zu ziehen, Grenzen zu respektieren, Grenzen einzuhalten. Denn im folgenden Geschehen konterkariert der Film bewusst die Worte seiner Protagonistin. Er deckt Emilys Privatleben auf, führt es gar parallel zu dem ihres Patienten Josh. Die Umgebung, in der sie die Therapie durchführt, ist sprechend. Emily behandelt ihre Patienten in ihrem Wohnzimmer. Will sie Freunde treffen, mit jemanden ein Privatgespräch führen, muss sie ihn durch die Hintertür, in der Küche empfangen. Wie bereits das schmale, leere Wartezimmer besagt, hält sich niemand dort auf, wo ihm der Übergang zwischen drinnen und draußen bewusst vor Augen gehalten, eine Grenze markiert würde.

Therapeutin Emilys Stärken

Single Emily wirkt bei dem, was sie tut, unsicher. Wenn sie ihre Bedürfnisse einmal ernst nimmt, die sie allerdings mit reichlich unsouveräner Gestik vertritt, kann sie am Abend gar nicht einschlafen. Offenbar mischt sich die Therapeutin nicht gern unter Gleichaltrige und findet auch nicht so leicht Leute mit denselben Interessen. Insofern ähnelt sie in vielem ihrem Patienten, was der natürlich bemerkt. Und aus Anteilnahme die Rollen umkehrt. Josh wird, wie der Titel bedeutet, mit einem Erdferkel verglichen. Das ist ein einzelgängerisches, dünnhäutiges Tier, das sich meist nur nachts aus seinem Bau traut.

Auch fachlich-diagnostisch kann unsere Therapeutin nicht punkten. Obwohl sie klinisch zugelassen ist, exploriert sie den Zustand des Patienten nicht so peinlich genau, wie es geboten wäre, macht keine ausführliche Anamnese. Stattdessen sucht sie entsprechend dem Klischee ziemlich bald den fachlichen Beistand eines Kollegen, der dann die richtigen Fragen stellt und sie unwirsch nach Hause entlässt. Selbst der Zuschauer ist ihr im Wissen voraus. Er erhält Einblick in Joshs Verfassung, während Emily noch im Nebel stochert. Josh ist schizophren, sieht Personen, die es nicht gibt, und glaubt, dahinter verberge sich sein Bruder Craig, ein Schauspieler, der ihn wieder einmal mit seinem grandiosen Rollenspiel beeindrucken wolle. Der von Josh bewunderte Craig befindet sich in der Erzählgegenwart in der Stadt, hat aber mit dem kranken Bruder keinen Kontakt. Josh sehnt sich nach ihm, halluziniert ihn in seinen Wahngebilden herbei und kann so mit ihm sprechen.

Emilys Handeln erfüllt das Stereotyp. Sie sieht mit dem Herzen, interessiert sich für Joshs Leid, macht sich Sorgen um ihn. Dabei berücksichtigt ihr Vorgehen aber durchaus auch, dass der schizophrene Josh neben den Medikamenten einer stützenden Therapie bedarf. Sie weiß, wie wichtig der Halt der Familie und die richtige Stimulierung ist, versucht eine wirkliche, reale Beziehung zu Craig wiederherzustellen. Nur wird sie dabei Craig gegenüber ihre professionelle Haltung und Distanz verlieren.

Distanz und Veränderungen anregen

„Aardvark“ hat den Patienten in zwei Personen gespalten. In den sensiblen, kranken Josh, welcher der Fürsorge bedarf, und den draufgängerischen, verführerisch-smarten Serienstar Craig. Und dem kann die einsame und ebenfalls bedürftige Emily nicht widerstehen. Als Craig eines Nachts unerwartet vor ihrer Haustür auftaucht, lässt sie sich überrumpeln, verabredet sich mit ihm und landet mit ihm im Bett. Das von ihr in einem unpassenden Moment hervorgebrachte Geständnis, dass sie den Bruder getroffen habe, hält Josh wiederum für ein Mitschwingen einer gleichgestimmten Seele, die seine Trugwahrnehmungen bestätigen will. Danach jedoch entfernt sich der Plot vom klassischen Stereotyp. Emily erkennt, dass sie mit ihrem narzisstischen Agieren ihren Patienten, der nach Klarheit strebt, nur in noch größere Konfusion stürzt. Sie verstärkt damit seine Abwehr und unterminiert ihre Position als Therapeutin.

Emily lernt daraus und kann ihre Arbeit so neu rahmen. Zum Schluss sitzt sie wieder in ihrem Behandlungszimmer, jetzt aber stimmig in ihrer eigenen Mitte verankert. Sie lässt ein Paar an seinem Problem arbeiten und selber Einsichten gewinnen. Denn die Veränderung ihrer Beziehungen müssen Patient und Patientin nun einmal alleine leisten. Eine Therapeutin oder ein Therapeut sollte sie dabei nur anregen.